Orgelgeschichten - Beatles Songs auf der Orgel

"Beatles Songs auf der Orgel" von Bernd Honig

Text: Bernd Honig
Illustration: Arne Auinger

Einige Jahre lang besuchte ich regelmäßig Senioren in einem Altersheim. Mit einer Dame namens Gerti kam ich näher ins Gespräch; wir schlossen Freundschaft. Sie er zählte mir vielerlei Geschichten, Begebenheiten und Anekdoten aus ihrem langen Leben.
Besonders Musik lag ihr seit frühester Jugend am Herzen: Volkslieder wurden in der Schule gelernt (heute leider fast gar nicht mehr), Oper und Operette fanden ihr Interesse. Und... Schließlich die Popsongs der vier Pilzköpfe aus Liverpool, der Beatles.
Zu dieser Zeit hatte "meine" Seniorin ein, wie man damals sagte, Techtelmechtel mit einem Organisten in Schleswig. Dieser wusste von ihrer Begeisterung für die Beatles-Songs. Und er lud sie zu einem Konzert im Schleswiger Dom ein. Es waren jedoch keine Zuhörer anwesend, nur eine einzige Dame, nämlich Gerti. Ob es der darbietende Künstler der Organist des genannten Gotteshauses war, vermag ich nicht zu sagen. Na, jedenfalls hatte einen Schlüssel, um dort hineinzukommen und wusste die Orgel, so erzählte Gerti mir, vorzüglich zu spielen.

Es war ein großartiges Beatles-Konzert. Ich glaube, mich zu erinnern, Gerti berichtete von "I love you, yeah, yeah, yeah", "I wanna hold your hand" und "Let it be" mit großartigen Orgelpassagen. Wo der Orgelkünstler die Noten her oder ob er selbst sie für Orgel arrangiert hatte, wusste sie nicht mehr zu sagen.
Und es kam,wie es kommen musste: Fast wie in einem Kitschroman, so Gertis Worte, deutete er nach dem Konzert an, dass man doch nun ein Paar wäre. Einen richtigen Heiratsantrag zu machen, traute er sich anscheinend nicht. Offenbar dachte er aber schon weiter: an Heirat und ein gemeinsames Leben. Das ging ihr, trotz des Musikgenusses, viel, viel zu schnell. "Meine" alte Dame bat sich Bedenkzeit aus... Sie erhörte ihn nicht. Die Beiden sahen sich nie wieder.
Hiermit ist die Geschichte jedoch nicht zu Ende. Etwa 20 Jahre später wurde Gerti bei einer Straßenumfrage von einem Zeitungsreporter interviewt und fotographiert. Der Organist las den Artikel, sah das Foto und konnte irgendwie die Adresse seiner "Immer-noch-Angebeteten" in Erfahrung bringen.

Er schrieb Gerti einen Liebesbrief. Sie sei immer noch seine große Liebe; all die Jahre habe er an das Beatles-Orgelkonzert im Schleswiger Dom, das er einzig für sie zu Gehör gebracht hätte, gedacht. Er fragte, ob sie nicht jetzt endlich ein richtiges Paar werden könnten?
Natürlich erinnerte sich auch Gerti daran. Aber sie hatte einen anderen Mann, der zwar inzwischen verstorben war, geheiratet; es bestand kein Sehnen mehr nach dem starken Geschlecht und einem neuen (Lebens-)Partner. Gerti bügelte ihren alten und "neuen" Verehrer mit wenigen Antwortzeilen barsch ab. Wie er dieses aufgenommen hat, wusste sie nicht.

Ich ziehe mein persönliches Fazit: Da "meine" Seniorin Gerti noch Jahrzehnte später ausführlich und detailliert davon berichtete, scheint ihr der Dom-Organist aus Schleswig doch nicht so egal gewesen zu sein!

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